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Hilfsaufrechnung

Von Norbert Schneider

Abrechnungsprobleme treten in der Praxis regelmäßig auf, wenn der Beklagte sich in einem gerichtlichen Verfahren mit einer Hilfsaufrechnung verteidigt und die Parteien dann einen umfassenden Vergleich unter Einbeziehung der Hilfsaufrechnungsforderung schließen. Wie die Abrechnung fehlerfrei gelingt, zeigen wir Ihnen anhand des nachfolgenden Beispiels.

Beispiel

Der Kläger klagt gegen den Beklagten auf Zahlung von 10.000 €. Der Beklagte bestreitet die Forderung und erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit einer Gegenforderung in Höhe von 5.000 €, die wiederum der Kläger bestreitet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung kommt es zu einem umfassenden Vergleich, der sowohl die Klageforderung als auch die Hilfsaufrechnungsforderung erledigt.

Auswirkungen der Hilfsaufrechnung auf den Streitwert

Der Streitwert des Verfahrens beträgt jetzt 15.000 €. Hätte das Gericht die Klageforderung zumindest in Höhe von 5.000 € für begründet erachtet, hätte es sich sodann mit der (gesamten) Hilfsaufrechnung befassen und darüber entscheiden müssen. Die Entscheidung über die Hilfsaufrechnung wäre dann nach § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft erwachsen. Der Streitwert hätte dann nach § 45 Abs. 3 GKG 15.000 € betragen: „Macht der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung geltend, erhöht sich der Streitwert um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht“.

Nach § 45 Abs. 4 GKG gilt das Gleiche, wenn die Parteien sich über eine Hilfsaufrechnung vergleichen. Der Wert der Hilfsaufrechnungsforderung wird dann ebenso dem Wert der Klageforderung hinzugerechnet, soweit im Falle einer Entscheidung über die Hilfsaufrechnung diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen wäre, also in Höhe der Hilfsaufrechnungsforderung bis zur Höhe der Klageforderung.

Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass der Streitwert auf 10.000 € (Klageforderung plus 5.000 € Hilfsaufrechnung) = 15.000 € festzusetzen war.

Auswirkungen der Hilfsaufrechnung auf die Gerichtsgebühr

Angefallen ist zunächst eine 3,0-Gerichtsgebühr Nr. 1210 GKG-KV. Aufgrund des Vergleichs hat sich die Gerichtsgebühr auf 1,0 ermäßigt (Nr. 1211 Nr. 3 GKG-KV). Diese 1,0-Gebühr ist jetzt allerdings aus dem Gesamtwert von 15.000 € zu erheben, da sich durch die Hilfsaufrechnung der Streitwert erhöht (s. o. II.).

Hilfsaufrechnung und Anwaltsvergütung

  1. Gegenstandswert

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 RVG nach dem gerichtlich festgesetzten Wert. Dieser Wert ist gemäß § 32 Abs. 1 RVG für die beteiligten Anwältinnen und Anwälte bindend. Allerdings ergibt sich aus der Wertfestsetzung selbst noch nicht, wie sich die einzelnen Gebühren des Anwalts nach diesem (Gesamt-)Wert berechnen. Hier ist zu differenzieren:

  1. Verfahrensgebühr

Hinsichtlich der Klageforderung ist die 1,3-Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV entstanden, und zwar aus 10.000 €.

Durch den anschließenden Vergleich ist zusätzlich eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 2 VV entstanden. Insoweit ist zu beachten, dass die Hilfsaufrechnung nicht zur Anhängigkeit führt. Anderenfalls wäre die Vorschrift des § 322 Abs. 2 ZPO überflüssig, die ja gerade anordnet, dass ausnahmsweise die Gründe eines Urteils in Rechtskraft erwachsen. Dass sich die Gerichtsgebühr aus dem vollen Wert berechnet, ist insoweit unerheblich. Für die Anwaltsgebühren sind andere Voraussetzungen erforderlich. Hinsichtlich der Hilfsaufrechnung fehlt es aber ungeachtet des § 45 Abs. 4 GKG an der Anhängigkeit, so dass der Ermäßigungstatbestand der Nr. 3101 Nr. 2 VV einschlägig ist (so Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl. 2021, Nr. 1003 VV Rn. 28).

Im Anschluss daran ist das Gebührenaufkommen nach § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen auf eine 1,3-Gebühr aus dem Gesamtwert.

  1. Terminsgebühr

Die Terminsgebühr ist aus dem vollen Wert von 15.000 € entstanden, da die Terminsgebühr auch dann entsteht, wenn über nicht anhängige Gegenstände verhandelt oder erörtert wird (arg. e Anm. Abs. 4 zu Nr. 3104 VV).

  1. Einigungsgebühr

Die Einigungsgebühr ist wiederum aus 15.000 € angefallen, da man sich sowohl über die Klageforderung als auch über die Hilfsaufrechnungsforderung geeinigt hat.

Hinsichtlich der Klageforderung hat sich die Einigungsgebühr allerdings gemäß Nr. 1003 VV auf 1,0 ermäßigt.

Bei der Einigung über die zur Hilfsaufrechnung gestellte Forderung ist jetzt wiederum zu beachten, dass die Hilfsaufrechnung nicht zur Anhängigkeit führt. Hinsichtlich der Einigung über die Hilfsaufrechnung greift daher der Ermäßigungstatbestand der Nr. 1003 VV nicht. Vielmehr bleibt es hier bei der vollen 1,5-Einigungsgebühr (so bereits zur vergleichbaren Rechtslage nach der BRAGO: OLG Hamm, Beschl. v. 26.3.1999 – 23 W 594/98, JurBüro 1999, 470).

Im Anschluss sind auch hier wieder beide Gebühren aus den Teilwerten gemäß § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen auf eine Gebühr nach dem höchsten Gebührensatz aus dem Gesamtwert, also auf eine 1,5-Einigungsgebühr aus 15.000 €.

  1. Abrechnung

Unter Berücksichtigung der Auslagen und der Umsatzsteuer ergibt sich damit folgende Abrechnung:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 10.000 €)                            798,20 €
  2. 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2, 3100 VV

(Wert: 5.000 €)                                                                                                   267,20 €

  1. gemäß § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 15.000 €                                          933,40 €
  2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 15.000 €)                                                       861,60 €
  3. 1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV

(Wert: 10.000 €)                                                                                                614,00 €

  1. 1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV (Wert: 5.000 €)                                501,00 €
  2. gemäß § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 15.000 €                                      1.077,00 €
  3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV                                                                                 20,00 €

Zwischensumme                                                                                                                 2.892,00 €

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                                                                                    549,48 €

       Gesamt                                                                                                                          3.441,48 €

Soweit zum Teil die Auffassung vertreten wird, im Falle einer Entscheidung über eine Hilfsaufrechnung sowie bei einem Vergleich über eine Hilfsaufrechnung entstehe die volle 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV aus dem Wert von Klageforderung und der Hilfsaufrechnungsforderung, würde sich an der Berechnung im Beispiel nichts ändern, da gemäß § 15 Abs. 3 RVG hier ohnehin die volle 1,3-Verfahrensgebühr – aber auch nicht mehr – geschuldet ist.

Fazit: Hilfsaufrechnung erhöht den Streitwert

Bei einem Vergleich über eine Hilfsaufrechnung ist einerseits zu berücksichtigen, dass sich der Streitwert des Verfahrens, und damit auch der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit um den Wert der Hilfsaufrechnungsforderung erhöht. Andererseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Hilfsaufrechnung nicht zur Anhängigkeit der der Hilfsaufrechnung zugrundeliegenden Forderung führt, so dass es bei einer 1,5-Einigungsgebühr verbleibt. Abzurechnen ist faktisch wie bei einem „normalen“ Mehrwertvergleich.

Bild: Adobe Stock/© Pormezz
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Rechtsanwalt Norbert Schneider ist einer der versiertesten Praktiker im Bereich des anwaltlichen Gebühren- und Kostenrechts und Autor zahlreicher Fachpublikationen und Seminare. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2024 zur Reisekostenabrechnung und Mitherausgeber der AGS – Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.