
Mit dem Inkrafttreten des KostBRÄG 2025 stellt sich für die Anwaltschaft wieder die Frage des Übergangsrechts, also die Frage, wann noch altes Recht anzuwenden ist und wann bereits neues Recht gilt. Der Schlüssel hierzu liegt in der Übergangsvorschrift des § 60 RVG, die durch das KostBRÄG unberührt geblieben ist. Im Nachfolgenden sollen die Grundsätze des § 60 RVG erläutert werden.
I. Übergangsrecht nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG (nur Wahlanwalt)
Für den ausschließlich als Wahlanwalt beauftragten Anwalt gilt § 60 Abs. 1 S. 1 RVG. Maßgeblich ist das Datum der Auftragserteilung. Zu differenzieren ist zwischen einem unbedingten und einem bedingten Auftrag.
1. Vorgehen bei unbedingtem Auftrag
Liegt ein unbedingter Auftrag vor, ist auf das Datum der unbedingten Auftragserteilung zur jeweiligen Angelegenheit abzustellen.
Beispiel 1:
Der Anwalt war im Mai 2025 beauftragt worden, eine Strafverteidigung zu übernehmen. Im Juni 2025 bestellt sich der Anwalt bei der Staatsanwaltschaft.
Maßgebend ist der Auftrag im Mai 2025. Für den Verteidiger gilt daher noch altes Recht. Die Bestellung bei der Staatsanwaltschaft ist irrelevant.
Beispiel 2:
Der Anwalt war im April 2025 beauftragt worden, eine Klage einzureichen. Die Klage wird nach Abstimmung mit dem Mandanten im Juni 2025 bei Gericht eingereicht.
Maßgebend ist der Auftrag im April 2025. Für den Anwalt gilt daher noch altes Recht. Die Einreichung der Klage ist irrelevant.
2. Vorgehen bei bedingtem Auftrag
War lediglich ein bedingter Auftrag für eine neue Angelegenheit erteilt worden, so ist der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgebend. Es gilt § 158 Abs. 1 BGB.
Beispiel 3:
Die Anwältin hatte vom Beschuldigten im Januar 2025 den Auftrag erhalten, ihn im Ermittlungsverfahren zu vertreten, und für den Fall, dass es zur Anklage kommt, auch im gerichtlichen Verfahren. Im Juni 2025 wird Anklage erhoben.
Die Verteidigung im Ermittlungsverfahren richtet sich nach altem Recht, da der unbedingte Auftrag hierzu noch vor dem 1.6.2025 erteilt worden ist.
Der Auftrag zum gerichtlichen Verfahren ist zwar auch noch vor dem 1.6.2025 erteilt worden, er stand jedoch unter einer Bedingung, nämlich der Anklageerhebung. Erst mit Eintritt der Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB), also mit Erhebung der Anklage, wurde dieser Auftrag zu einem unbedingten. Damit gilt insoweit also neues Recht (OLG Celle AGS 2022, 443 = NJW-Spezial 2022, 699).
Beispiel 4:
Die Anwältin hatte im Mai vom Mandanten den Auftrag erhalten, eine Forderung anzumahnen und für den Fall, dass der Schuldner nicht bis zum 6.6.2025 zahle, ohne weitere Rücksprache Klage einzureichen. Der Schuldner hat nicht gezahlt, sodass die Klage im Juni 2025 eingereicht worden ist.
Die außergerichtliche Vertretung richtet sich nach altem Recht, da der unbedingte Auftrag hierzu noch vor dem 1.6.2025 erteilt worden ist. Das Klageverfahren richtet sich dagegen nach neuem Recht.
Im Rahmen der Erteilung eines bedingten Auftrags ist zwischen dem bedingten Auftrag zu einer neuen Angelegenheit und dem bedingten Auftrag innerhalb einer Angelegenheit zu unterscheiden.
Beispiel 5:
Der Anwalt hatte vom Mandanten im April 2025 den Auftrag erhalten, dem Schuldner die Zwangsvollstreckung anzudrohen, wenn dieser nicht bis zum 6.6.2025 zahle. Der Schuldner zahlte nicht, sodass das Verfahren auf Abgabe der Vermögensauskunft eingeleitet wurde.
Die Vergütung für das Verfahren auf Einleitung der Vermögensauskunft (Nr. 3309 VV) richtet sich nach altem Recht, da der Auftrag zur Vollstreckungsandrohung maßgebend ist. Die Androhung (als Vorbereitung) und die Durchführung der Zwangsvollstreckung sind gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG als dieselbe Angelegenheit zu betrachten (zuletzt AG Heilbronn AGS 2020, 512 = NJW-Spezial 2020, 637). Mit dem Eintritt der Bedingung für die Durchführung der Zwangsvollstreckung ist daher keine neue Angelegenheit ausgelöst worden.
II. Übergangsrecht nach § 60 Abs. 1 S. 2 RVG (Wahlanwalt wird Pflichtanwalt)
Soweit neben der Wahlanwaltsvergütung auch Ansprüche gegen die Staatskasse hinzukommen, wird nach § 60 Abs. 1 S. 2 RVG ebenfalls auf das Datum der vorherigen Auftragserteilung abgestellt.
Beispiel 6:
Die Anwältin war im April 2025 als Wahlverteidigerin beauftragt worden und ist im Juni 2025 zur Pflichtverteidigerin bestellt worden.
Auch für die Pflichtvergütung gilt altes Recht, da der unbedingte Auftrag vor dem Stichtag erteilt worden ist. Die nachträgliche Bestellung ist irrelevant.
Beispiel 7:
Der Anwalt war im April 2025 beauftragt worden, für eine Klage Prozesskostenhilfe zu beantragen. Soweit Prozesskostenhilfe bewilligt werde, sollte der Anwalt dann auch Klage erheben. Im Juni 2025 wird Prozesskostenhilfe bewilligt und der Anwalt beigeordnet.
Gebührenrechtlich handelt es sich bei dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren nicht um eine neue Angelegenheit. Nach § 16 Nr. 2 RVG sind das Verfahren über die Prozesskostenhilfe und das Verfahren, für das die Prozesskostenhilfe beantragt worden ist, dieselbe Angelegenheit. Daher liegt hier kein bedingter Auftrag zu einer neuen Angelegenheit vor, sondern eine (bedingte) Auftragserweiterung innerhalb derselben Angelegenheit vom PKH-Bewilligungsverfahren zur Hauptsache hin. Maßgebend ist daher das alte Recht (OLG Saarbrücken AGS 2014, 275).
III. Übergangsrecht nach § 60 Abs. 1 S. 3 u. 4 RVG (nur Pflichtanwalt)
1. Aktuelle Angelegenheit (§ 60 Abs. 1 S. 3 RVG)
Stehen einem beigeordneten oder bestellten Anwalt Ansprüche gegen die Staatskasse zu, ohne dass ein vorheriger Auftrag des Mandanten zugrunde liegt, dann fehlt es an einer Auftragserteilung. In diesem Fall wird gem. § 60 Abs. 1 S. 3 RVG auf das Datum der Beiordnung oder der Bestellung abgestellt.
Beispiel 8:
Der Anwalt war im April 2025 zum Pflichtverteidiger bestellt worden.
Mangels eines Auftrags gilt der Zeitpunkt der Bestellung (§ 60 Abs. 1 S. 3 RVG). Maßgebend ist also altes Recht.
2. Zukünftige Angelegenheiten (§ 60 Abs. 1 S. 4 RVG)
Auf den Zeitpunkt der Bestellung oder Beiordnung kommt es nicht an, soweit diese auch zukünftige Angelegenheiten erfasst, in denen der Rechtsanwalt erst nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erstmalig beauftragt oder tätig wird. Insoweit ist dann auf den nachfolgenden Auftrag oder den Beginn der nachfolgenden Tätigkeit abzustellen.
Beispiel 9:
Die Anwältin war im Dezember 2024 als Pflichtverteidigerin bestellt worden. Im Juli 2025 findet die Hauptverhandlung statt, in der der Mandant verurteilt wird. Im August 2025 wird Berufung eingelegt und diese im September 2025 begründet.
Zwar erstreckt sich die Beiordnung aus Dezember 2024 auch auf das Berufungsverfahren in 2025. Jetzt gilt aber nicht § 60 Abs. 1 S. 3 RVG, sondern § 60 Abs. 1 S. 4 RVG. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Auftrags zur Berufungsbegründung bzw., bei Mangel eines Auftrags, der Zeitpunkt des Einreichens der Berufungsbegründung. Es gilt also das neue Recht (AG Korbach AGS 2023, 162 = NJW-Spezial 2023, 92).
Beispiel 10:
Der Anwalt war im April beauftragt worden, eine einstweilige Anordnung auf Unterhalt einzureichen und hierfür die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu beantragen. Die einstweilige Anordnung ist noch im April 2025 erlassen worden. Gleichzeitig ist Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Anwalt beigeordnet worden. Im Juli 2025 wird der Anwalt beauftragt, aus der einstweiligen Anordnung zu vollstrecken.
Für das einstweilige Anordnungsverfahren gilt nach § 60 Abs. 1 S. 2 RVG i. V. m. § 60 Abs. 1 S. 1 RVG noch das alte Recht, da der Auftrag vor dem 1.6.2025 erteilt worden ist.
Bei dem Vollstreckungsverfahren handelt es sich nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG aber um eine neue selbstständige Angelegenheit. Daher gelten hierfür bereits die neuen Gebührenbeträge. Zwar ist die Beiordnung für das Vollstreckungsverfahren schon im April 2025 erfolgt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Beiordnung in einem einstweiligen Anordnungsverfahren gem. § 48 Abs. 2 S. 1 RVG auch auf die Vollziehung bzw. Vollstreckung der einstweiligen Anordnung erstreckt, ohne dass es einer weiteren Beiordnung bedarf. Hier ist aber in § 60 Abs. 1 S. 4 RVG klargestellt, dass das neues Recht anzuwenden ist, wenn sich die Beiordnung auf Angelegenheiten erstreckt, bei denen der Auftrag erst später erteilt wird. Im Vollstreckungsverfahren gelten daher bereits die neuen Gebührenbeträge.
IV. Übergangsrecht nach § 60 Abs. 1 S. 5 RVG (Pflichtanwalt wird Wahlanwalt)
Soweit nach den vorstehenden Ausführungen zu § 60 Abs. 1 S. 2 bis 4 RVG (III.) gegenüber der Landeskasse nach altem Recht abzurechnen ist, gilt dies nach § 60 Abs. 1 S. 5 RVG auch für eine daneben bestehende Wahlanwaltsvergütung.
Beispiel 11:
Der Anwalt war im April 2025 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im Juli 2025 wird ihm der Wahlanwaltsauftrag erteilt.
Es gilt nicht § 60 Abs. 1 S. 1 RVG, also das Datum der Auftragserteilung, sondern über § 60 Abs. 1 S. 5 RVG die Regelung des § 60 Abs. 1 S. 3 RVG. Maßgebend bleibt damit der frühere Zeitpunkt der Bestellung. Die spätere Auftragserteilung ist insoweit irrelevant.
Beispiel 12:
Der Anwalt war im April 2025 als Notanwalt bestellt worden. Im Juli 2025 wird ihm der Wahlanwaltsauftrag erteilt.
Es gilt auch hier nicht § 60 Abs. 1 S. 1 RVG, also das Datum der Auftragserteilung, sondern über § 60 Abs. 1 S. 5 RVG die Regelung des § 60 Abs. 1 S. 3 RVG. Maßgebend bleibt damit der frühere Zeitpunkt der Bestellung als Notanwalt. Die spätere Auftragserteilung ist insoweit irrelevant.
Mit dieser Regelung wird unterschiedliches Recht für den Wahlanwalt und den beigeordneten Anwalt ausgeschlossen.
V. Übergangsrecht nach § 60 Abs. 1 S. 6 RVG (Verweisung auf andere Gesetze)
Soweit im RVG auf andere Gesetze verwiesen wird, gilt die Fassung des jeweiligen Gesetzes zum Zeitpunkt der Auftragserteilung. Dies ist relevant für die Fälle, in denen Streit- oder Verfahrenswertvorschriften geändert worden sind, auf die § 23 Abs. 1 und 3 RVG Bezug nimmt und die damit auch für den Gegenstandswert der anwaltlichen Vergütung gelten.
Beispiel 13:
Die Ehefrau hatte im April 2025 vor dem FamG ein Verfahren zur elterlichen Sorge eingeleitet. Die Antragsschrift wird dem Antragsgegner im Juli 2025 zugestellt, worauf dieser ebenfalls einen Anwalt beauftragt.
Für den Anwalt der Antragstellerin gilt nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG altes Gebührenrecht und damit gem. § 60 Abs. 1 S. 6 RVG auch der alte Regelwert des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG i. d. F. vor dem 1.6.2025 i. H. v. 4.000 Euro.
Auch das Gericht legt den alten Regelwert von 4.000 Euro zugrunde (§ 63 Abs. 1 S. 1 FamGKG).
Für den Anwalt des Antragsgegners gilt dagegen nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG neues Gebührenrecht und damit gem. § 60 Abs. 1 S. 6 RVG der neue Regelwert i. H. v. 5.000 Euro. Dieser Wert ist dann gegebenenfalls im Verfahren nach § 33 RVG gesondert festzusetzen (AG Starnberg AGS 2021, 89 = NJW-Spezial 2021, 125).
Auch der umgekehrte Fall ist möglich und nach § 60 Abs. 1 S. 6 RVG zu lösen.
Beispiel 14:
Der Anwalt hatte im Mai 2025 den Auftrag erhalten ein Verfahren zur elterlichen Sorge einzuleiten. Die Antragsschrift wird erst am 4.6.2025 bei Gericht eingereicht.
Das Gericht legt jetzt den neuen Regelwert von 5.000 Euro zugrunde (§ 63 Abs. 1 S. 1 FamGKG).
Für den Anwalt der Antragstellerin gilt nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG jedoch noch altes Gebührenrecht und damit gem. § 60 Abs. 1 S. 6 RVG auch der alte Regelwert des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG in der Fassung vor dem 1.6.2025, also i. H. v. 4.000 Euro (AG Meiningen JurBüro 2012, 146). Auch hier ist dieser Wert dann gegebenenfalls im Verfahren nach § 33 RVG gesondert festzusetzen.
VI. Übergangsrecht nach § 60 Abs. 2 RVG (zusammengerechnete Werte)
Sind Gebühren nach dem zusammengerechneten Wert mehrerer Gegenstände zu bemessen, gilt für die gesamte Vergütung das bisherige Recht auch dann, wenn dies nach § 60 Abs. 1 RVG auch nur für einen der Gegenstände gelten würde (§ 60 Abs. 2 RVG). Diese Variante betrifft ausschließlich den Fall, dass ein Verfahren nach altem Recht mit einem Verfahren nach neuem Recht verbunden wird.
Beispiel 15:
Der Anwalt hatte im März 2025 für A eine Klage gegen B i. H. v. 10.000 Euro erhoben, die diesem im April 2025 zugestellt wurde. Im Juli 2025 erhebt B eine selbstständige Klage gegen A i. H. v. 8.000 Euro. Beide Verfahren werden im Oktober 2025 gem. § 145 ZPO miteinander verbunden und gemeinsam verhandelt. Führend ist das Verfahren des A.
Die Vergütung im Klageverfahren des A richtet sich nach altem Recht.
Die Vergütung im Klageverfahren des B richtet sich dagegen nach neuem Recht.
Da sich die Gebühren nach der Verbindung gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. § 39 Abs. 1 Satz 1 GKG aus den zusammengerechneten Werten berechnen, gilt nach § 60 Abs. 2 RVG für die weiteren Gebühren, die nach der Verbindung entstehen, neues Recht. Für die bis zur Verbindung angefallenen Gebühren bleibt es dagegen gem. § 60 Abs. 1 S. 1 RVG beim alten Recht.
Abzurechnen ist wie folgt:
I. Klage des B bis zur Verbindung (neues Recht)
- 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 8.000,00 €)
- Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV Zwischensumme
- 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV Gesamt
II. Klage des A (altes Recht)
692,90 €
20,00 €
712,90 €
135,45 €
848,35 €
- 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 10.000,00 €)
- 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 18.000,00 €)
- Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV Zwischensumme
- 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV Gesamt
798,20 €
924,00 €
20,00 €
1.742,20 €
331,02 €
2.073,22 €
Der Gebührenexperte und Rechtsanwalt Norbert Schneider hat bereits zahlreiche Werke zum RVG veröffentlicht, darunter Fälle und Lösungen zum RVG, AnwaltKommentar RVG, Streitwertkommentar und RVG Praxiswissen. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2025 zur Reisekostenabrechnung auswärtiger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Mitherausgeber der AGS-Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.
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