rvg-rechner.de
Einigungsgebühr Kindschaftssachen

Von Norbert Schneider

I. Änderungen durch die Reform des Verfahrens in Familiensachen

Lange Zeit war umstritten, ob in Kindschaftssachen für den Anwalt eine Einigungsgebühr anfallen kann. Um diese Streitfrage zu klären, hatte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen  und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz - FGG-RG) vom 17.12.2008 (BGBl. I 2586) die Nrn. 1000 ff. VV ergänzt.

So ist in Anm. Abs. 5 S. 2 zu Nr. 1000 VV Folgendes eingefügt worden:

In Kindschaftssachen entsteht die Gebühr auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann.

Auch Anm. Abs. 2 zu Nr. 1003 VV ist erweitert worden:

In Kindschaftssachen entsteht die Gebühr auch für die Mitwirkung am Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 FamFG) und an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt.

Ebenso wurde eine Anm. Abs. 2 zu Nr. 1004 VV eingefügt:

Absatz 2 der Anmerkung zu Nummer 1003 ist anzuwenden.

Damit ist also mit Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes klar geregelt, dass auch in Kindschaftssachen eine Einigungsgebühr anfallen kann.

II. Reichen Teil- oder Zwischeneinigungen aus?

Hieran schloss sich nunmehr der Streit an, ob eine Einigungsgebühr auch dann anfällt, wenn die Beteiligten lediglich eine Zwischen- oder Teileinigung schließen. Solche Fälle können sowohl in einstweiligen Anordnungsverfahren als auch in Hauptsacheverfahren vorkommen.

Beispiel 1:

Der Ehemann beantragt eine einstweilige Anordnung zur vorläufigen Regelung des Umgangsrechts mit den gemeinsamen Kindern. Im Termin einigen sich die beteiligten Eltern über ein vorläufiges Umgangsrecht. Der Vergleich wird gemäß § 156 Abs. 2 FamFG familiengerichtlich genehmigt.

Beispiel 2:

In einem Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangs schließen die Beteiligten einen Vergleich, wonach für die Dauer eines Jahres eine bestimmte Umgangsregelung stattfinden soll. Nach Ablauf des Jahres soll aufgrund eines zwischenzeitlich eingeholten Gutachtens über eine neue Regelung verhandelt werden. Auch dieser Vergleich wird familiengerichtlich nach § 156 Abs. 2 FamFG genehmigt.

In beiden Fällen wurde zum Teil argumentiert, dass der Vergleich keine endgültige Regelung enthalte und den Streit über den Umgang nicht endgültig beseitige. Nach anderer Auffassung war dagegen eine Einigungsgebühr anzusetzen, da zumindest für einen gewissen Zeitraum das Umgangsrecht geregelt sei und es für diesen Zeitraum keiner gerichtliche Entscheidung mehr bedürfe.

Der BGH hat nunmehr klargestellt, dass auch solche vorläufigen Einigungen oder Teilregelungen die Einigungsgebühr auslösen.

Einigungsgebühr auch bei Zwischenvergleich zum Umgangsrecht

Ein im Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangs geschlossener und gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich kann eine 1,0-Einigungsgebühr zur Entstehung bringen.

BGH, Urt. v. 25.5.2023 – IX ZR 161/22

Danach erhält der Anwalt in beiden Fällen auch eine Einigungsgebühr.

III. Familiengerichtliche Genehmigung erforderlich?

Im Falle des BGH lag ein nach § 156 Abs. 2 FamFG familiengerichtlich gebilligter Vergleich zugrunde. Die gerichtliche Billigung dürfte allerdings für den Anfall der Einigungsgebühr nicht ausschlaggebend sein. Ausgehend von der vom BGH bestätigten Systematik des RVG, wonach Nr. 1000 VV den Grundtatbestand regeln soll sowie in Anbetracht dessen, dass Anm. Abs. 2 zu Nr. 1003 VV lediglich davon spricht, dass die Einigungsgebühr „auch“ bei einem gerichtlich gebilligten Vergleich anfällt, muss auch ein einfacher Vergleich ausreichen. Entscheidend ist, dass der Vergleich eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich macht.

IV. Gegenstandswert

Zur Frage des Gegenstandswertes der Einigungsgebühr brauchte der BGH in seiner Entscheidung nicht Stellung zu nehmen, da dort hinsichtlich des Gegenstandswertes eine verbindliche Vergütungsvereinbarung nach § 3a Abs. 1 RVG geschlossen worden war.

Zutreffend dürfte von Folgendem auszugehen sein:

Im Beispiel 1 dürfte der Einigungswert dem Verfahrenswert entsprechen. Der Verfahrenswert wiederum dürfte sich gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 und 2 FamGKG auf die Hälfte des Wertes der Hauptsache (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG: 4.000,00 €) belaufen, also auf 2.000,00 €. Ein abweichender Wert der Einigung dürfte hier nicht in Betracht kommen.

Anders verhält es sich dagegen in Beispiel 2. Dort beträgt der Verfahrenswert grundsätzlich 4.000,00 € (§ 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FamGKG). Hier ist jetzt jedoch zu berücksichtigen, dass durch die Einigung die Hauptsache nicht erledigt ist und damit der Wert nicht mit dem Wert der Hauptsache übereinstimmt. Hier wird man vergleichbar einer einstweiligen Anordnung ebenfalls vom hälftigen Hauptsachewert (2.000,00 €) ausgehen müssen.

Soweit hier Streit über die Höhe des Gegenstandswertes der Einigungsgebühr entsteht, ist nach § 33 Abs. 1 RVG eine gesonderte Wertfestsetzung für den Gegenstandswert der Einigungsgebühr zu beantragen. Gegen diesen Beschluss ist dann gemäß § 33 Abs. 3 RVG die Beschwerde zum OLG möglich, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG), was in der Praxis angesichts der geringen Werte aber nicht der Fall sein dürfte. Insoweit kommt eine Beschwerde nur in Betracht, wenn das Gericht sie zugelassen hat (§ 33 Abs. 1 S. 2 RVG). Die Zulassung sollte daher vorsorglich immer beantragt werden.

V. Abrechnung

In Beispiel 1 ist danach wie folgt abzurechnen:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 2.000,00 €)
  2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 2.000,00 €)
  3. 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV (Wert: 2.000,00 €)
  4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

215,60 €

199,20 €

166,00 €

20,00 €

600,80 €

114,15 €

714,95 €

In Beispiel 2 ergibt sich folgende Abrechnung:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 4.000,00 €)
  2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 4.000,00 €)
  3. 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV (Wert: 2.000,00 €)
  4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

361,40 €

333,60 €

166,00 €

20,00 €

881,00 €

167,39 €

1.048,39 €

VI. Zwischen- bzw. Teileinigung und spätere abschließende Einigung

Kommt es im Hauptsacheverfahren später zu einem endgültigen Vergleich, wird die Einigungsgebühr erneut ausgelöst, und zwar diesmal aus dem vollen Wert. Ungeachtet dessen entsteht die Einigungsgebühr insgesamt gemäß § 15 Abs. 2 RVG nur einmal. Faktisch erstarkt die Einigungsgebühr aus dem hälftigen Wert auf eine Einigungsgebühr aus dem vollen Wert.

Fortsetzung Beispiel 2:

Später wird nach Eingang des Gutachtens ein abschließender Vergleich über den Umgang geschlossen und familiengerichtlich nach § 156 Abs. 2 FamFG genehmigt.

Abzurechnen ist jetzt insgesamt:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 4.000,00 €)
  2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 4.000,00 €)
  3. 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV (Wert: 4.000,00 €)
  4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

 Gesamt

361,40 €

333,60 €

278,00 €

20,00 €

993,00 €

188,67 €

                        1.181,67 €

Bild: DALL·E 3
Weitere Beiträge

Rechtsanwalt Norbert Schneider ist einer der versiertesten Praktiker im Bereich des anwaltlichen Gebühren- und Kostenrechts und Autor zahlreicher Fachpublikationen und Seminare. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2024 zur Reisekostenabrechnung und Mitherausgeber der AGS – Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.