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verkehrsunfallprozess

Von Norbert Schneider

Klage und Widerklage mit unterschiedlichen Beteiligten im Kfz-Haftpflichtprozess kommen in der Praxis häufig vor. Hier ergibt sich ein besonderes Abrechnungsproblem, das immer wieder zu Diskussionen führt.

1. Überblick

Der Streit dreht sich darum, wie die Gebührenerhöhung bei mehreren Auftraggebern mit unterschiedlicher Beteiligung (Klage einerseits/Widerklage andererseits) zu berechnen ist, insbesondere ob Nr. 1008 VV eine selbständige „Erhöhungsgebühr“ darstellt oder lediglich eine (Hilfs-)Vorschrift ist, die zur Erhöhung anderer Gebühren führt.

Beispiel 1:

Der Anwalt erhält in einer Verkehrsunfallsache von dem geschädigten Eigentümer (zugleich Halter) den Auftrag, Schadensersatz in Höhe von 8.000 € geltend zu machen und erhebt auftragsgemäß Klage gegen den gegnerischen Halter, den gegnerischen Fahrer und deren Haftpflichtversicherer. Später erhebt der Halter des gegnerischen Fahrzeugs als dessen Eigentümer Widerklage in Höhe von 10.000 € gegen den Kläger als Halter, sowie Drittwiderklage gegen dessen Fahrer und dessen eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer. Der Anwalt des Klägers erhält vom Haftpflichtversicherer des Mandanten auch das Mandat für die Widerklage. Über Klage und Widerklage wird verhandelt und ein Vergleich geschlossen.

Der Anwalt des Klägers ist hier nach einem Gegenstandswert von 18.000 € tätig geworden, da die Werte von Klage und Widerklage addiert werden (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. § 45 Abs. 1 S. 1 GKG), soweit sie nicht denselben Gegenstand betreffen (§ 45 Abs. 1 S. 3 GKG), was hier aber nicht der Fall ist.

Bei einem Gegenstandswert von 8.000 € ist der Anwalt für einen Auftraggeber (Kläger) tätig geworden und bei einem Gegenstandswert in Höhe von 10.000 € für drei Auftraggeber (widerbeklagter Kläger sowie drittwiderbeklagter Fahrer und Haftpflichtversicherer).

Wie sich nun diese unterschiedlichen Beteiligungen auf die Gebührenerhöhung auswirken, ist umstritten.

2. Abrechnung mit „Erhöhungsgebühr“

Nach einem Teil der Rspr. (noch zur BRAGO: OLG Köln Rpfleger 1987, 175; OLG Frankfurt MDR 1983, 764; OLG Saarbrücken JurBüro 1988, 189; LG Berlin Rpfleger 1981, 123; LG Freiburg Rpfleger 1982, 393; OLG Hamburg MDR 2001, 56; OLG München AnwBl. 1998, 666 = MDR 1998, 1439 = AGS 1999, 19; OLG Düsseldorf JurBüro 1990, 601) und der neuerdings auch wieder im Gerold/Schmidt vertretenen Ansicht (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, Nr. 1008 VV Rn. 227 ff.; anders noch bis zur 17. Aufl. Gerold/Schmidt/von Eicken, Nr. 1008 VV Rn. 13 und erst Recht zur BRAGO: Gerold/Schmidt/von Eicken, BRAGO, 16. Aufl., § 6 Rn. 35) ist aus dem Gesamtwert (hier: 18.000 €) eine 1,3-Verfahrensgebühr und aus dem Wert der gemeinschaftlichen Beteiligung (hier: 10.000 €) eine doppelte „Erhöhungsgebühr” nach Nr. 1008 VV zu berechnen.

Dies würde zu folgender Berechnung führen:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 18.000,00 €)
  2. 0,6-Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV (Wert: 10.000,00 €)
  3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 18.000,00 €)
  4. 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV (Wert: 18.000,00 €)
  5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

1.001,00 €

386,40 €

924,00 €

770,00 €

20,00€

3.101,40 €

589,27 €

3.690,67 €

3. Abrechnung mit Gebührenerhöhung

Diese vorstehende Form der Abrechnung ist jedoch unzutreffend, da es keine „Erhöhungsgebühr” gibt. Schon der Wortlaut der Nr. 1008 VV ist völlig eindeutig: „Die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr erhöht sich …“. Die Nr. 1008 VV schafft damit keine neue Gebühr, sondern setzt eine Geschäfts- oder Verfahrensgebühr voraus, die dann um 0,3 für jeden weiteren Aufraggeber angehoben wird. Dass es sich nicht um eine selbständige Gebühr handeln kann, zeigt sich schon bei den Betragsrahmengebühren. Dort ist nämlich ausdrücklich vorgesehen, dass sich der Rahmen erhöht, so dass also eine eigenständige „Erhöhungsgebühr“ gar nicht berechnet werden kann. Nur wäre es aber kurios, wenn derselbe gesetzliche Tatbestand bei Abrechnung nach Wertgebühren einen Gebührentatbestand darstellt, bei Abrechnung nach Betragsrahmengebühren (Strafsachen, Sozialsachen) dagegen nicht.

Die zutreffende Berechnung in diesen Fällen ergibt sich vielmehr aus der Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG (AG Augsburg AGS 2008, 434 = DAR 2008, 673 = NJW-Spezial 2008, 636; LG Saarbrücken AGS 2012, 56 = DAR 2012, 177 = NJW-Spezial 2012, 27; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, § 15 Rn. 231 ff.; noch zur BRAGO OLG Hamburg MDR 1978, 767; LG Bonn Rpfleger 1995, 384 m. Anm. N. Schneider; Lappe, Rpfleger 1981, 94; N. Schneider, BRAGOreport 2000, 21). Für jeden Teilstreitwert sind gesonderte Gebühren zu berechnen, wobei die Summe der Einzelgebühren nicht höher liegen darf als eine nach dem höchsten angefallenen Gebührensatz berechnete Gebühr aus dem Gesamtstreitwert. Soweit diese Grenze überschritten wird, ist entsprechend zu kürzen.

Das ergibt im Beispiel Folgendes: Aus dem Wert der Klage (8.000 €) ist nur die einfache 1,3-Verfahrensgebühr angefallen, da insoweit nur ein Auftraggeber (Kläger) gegeben war; aus dem Wert der Widerklage (10.000 €) hatte der Anwalt dagegen drei Auftraggeber (Kläger, Fahrer und Versicherer), so dass insoweit eine erhöhte 1,9-Verfahrensgbühr angefallen ist. Die Gesamtberechnung sieht daher wie folgt aus:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 8.000,00 €)
  2. 1,9-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV (Wert: 10.000,00 €)

gem. 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,9 aus 18.000,00 €

  1. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 18.000,00 €)
  2. 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV (Wert: 18.000,00 €)
  3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

753,00 €

1.166,60 €

1.463,00 €

924,00 €

770,00 €

20,00 €

3.177,00 €

603,63 €

3.780,63 €

Die gegenteilige Berechnungsmethode käme also für den Anwalt zu einem um 105,79 € ungünstigeren Ergebnis.

4. Abrechnung des Beklagtenvertreters

Für den Anwalt des Beklagten gilt entsprechendes. Er rechnet im Ergebnis ebenso ab, mit dem Unterschied, dass er aus der Klageforderung die erhöhte 1,9-Verfahrensgebühr verdient und unter Berücksichtigung des § 15 Abs 3 RVG die einfache 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Widerklageforderung.

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 10.000,00 €)
  2. 1,9-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV (Wert: 8.000,00 €)

gem. 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,9 aus 18.000,00 €

  1. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 18.000,00 €)
  2. 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV (Wert: 18.000,00 €)
  3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 Nr. 1 VV (Wert: 8.000 €)

Gesamt

798,20 €

953,80 €

1.463,00 €

924,00 € €

770,00 €

20,00 €

3.177,00 €

603,63 €

3.780,63 €

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Gebührenexperte Norbert Schneider stellt 27 Abrechnungsbeispiele für die Praxis vor

Bild: Adobe Stock/©snowing12
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Rechtsanwalt Norbert Schneider ist einer der versiertesten Praktiker im Bereich des anwaltlichen Gebühren- und Kostenrechts und Autor zahlreicher Fachpublikationen und Seminare. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2024 zur Reisekostenabrechnung und Mitherausgeber der AGS – Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.

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