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Klagerücknahme abrechnung

Von Norbert Schneider

Mitunter kommt es vor, dass Anwalt für den Beklagten nach Klageerhebung oder Anspruchsbegründung zunächst nur dessen Verteidigungsbereitschaft anzeigt, ohne bereits einen Sachantrag zu stellen. Wird hiernach die Klage zurückgenommen und nunmehr vom Anwalt für den Beklagten Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 ZPO gestellt, ist umstritten, wie abzurechnen ist. Diese Fallkonstellation soll einmal näher betrachtet werden.

I. Prozessuale Ausgangslage

Mit Zustellung der Klageschrift kann das Gericht das schriftliche Vorverfahren anordnen (§ 276 Abs. 1 S. 1 ZPO). Gleiches gilt bei Zustellung der Anspruchsbegründung nach einem Mahnverfahren (§ 697 Abs. 1 ZPO), nicht aber auch nach einem Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid (§ 700 Abs. 4 S. 2 ZPO). Das Gericht setzt dann dem Beklagten eine Frist von zwei Wochen, seine Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen. Binnen einer weiteren, vom Gericht nach seinem Ermessen zu bestimmenden Frist - mindestens zwei Wochen - hat der Beklagte dann zur Sache zu erwidern (§ 276 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Beauftragt der Beklagte nach Zustellung der Klageschrift und Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens einen Anwalt, wird dieser sich zunächst einmal bei Gericht bestellen und Verteidigungsbereitschaft anzeigen, um diese Frist zu wahren. Häufig stellt der Anwalt auch bereits den Antrag auf Klageabweisung. Mitunter kommt es aber auch vor, dass noch kein Antrag zur Sache gestellt wird. Diese Variante kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich der Beklagte vorbehalten will, die Klageforderung unter Verwahrung gegen die Kostenlast anzuerkennen. Hat der Beklagte noch nicht die Klageabweisung beantragt, so kann er innerhalb der Klageerwiderungsfrist grundsätzlich noch nach § 93 ZPO kostenbefreiend anerkennen. Hat er dagegen einmal den Zurückweisungsantrag gestellt, ist ihm diese Möglichkeit grundsätzlich genommen (BGH NJW 2019, 1525).

Wird in dieser Phase die Klage zurückgenommen, so muss der Beklagte einen Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO stellen, um eine Kostenentscheidung zu erhalten. Eine Kostenentscheidung ergeht hier nicht von Amts wegen. Gleiches gilt, wenn ein Mahnantrag zurückgenommen wird. In beiden Fällen ist ausnahmsweise die Kostenentscheidung nicht gem. § 308 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zu treffen, sondern nur auf Antrag.

II. Die Abrechnung

Umstritten ist, wie abzurechnen ist, wenn der Anwalt die Verteidigungsbereitschaft angezeigt, aber noch keinen Klageantrag gestellt hat und er nunmehr nach Klagerücknahme einen Kostenantrag stellt.

Beispiel:

Eingeklagt sind 10.000,00 €. Nach Zustellung der Klageschrift und Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens lässt der Beklagte durch seinen Anwalt die Verteidigungsbereitschaft anzeigen. Bevor der Beklagtenvertreter eine Klageerwiderung mit Antrag einreichen kann, wird die Klage zurückgenommen. Daraufhin beantragt der Beklagtenvertreter, dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, woraufhin das LG einen entsprechenden Beschluss erlässt.

1. Unstreitig nur ermäßige Verfahrensgebühr für Bestellung

Es ist einhellige Auffassung, dass die bloße Anzeige der Verteidigungsbereitschaft lediglich eine 0,8-Verfahrensgebühr auslöst, da sie noch keinen Sachantrag enthält (LG Stuttgart AGS 2014, 501; ebenso zur vergleichbaren Rechtslage nach der BRAGO: OLG Düsseldorf AGS 2001, 54; OLG Koblenz JurBüro 1988, 1365; MDR 1981, 507 = JurBüro 1981, 1518). Wird also nach Anzeige der Verteidigungsbereitschaft die Klage zurückgenommen, liegt hinsichtlich der Hauptsache eine vorzeitige Erledigung i. S. d. Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3101 VV vor.

2. Volle Verfahrensgebühr aus der Hauptsache

Das LG Frankfurt/Main (AGS 2020, 8 = JurBüro 2020, 246) ist der Auffassung, dass durch den anschließenden Kostenantrag jedoch die volle 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache ausgelöst werde, da es sich insoweit um einen Sachantrag i. S. d. Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3101 VV handele, der damit einer Ermäßigung der Verfahrensgebühr entgegenstehe.

Dies ergäbe dann folgende Berechnung:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV (Wert: 10.000,00 €)
  2. Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV

Zwischensumme

3. 19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

798,20 €

20,00 €

818,20 €

155,46 €

973,66 €

2. Keine weitere Vergütung für Kostenantrag

Nach Auffassung des AG Nürtingen (AGS 2016, 455 = RVGreport 2016, 422) löst der Kostenantrag über die 0,8-Verfahrensgebühr aus der Hauptsache hinaus keine weitere Vergütung aus. Grund hierfür sei, dass nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG der Antrag auf Erlass einer Kostenentscheidung mit zum Rechtszug gehöre und damit durch die Verfahrensgebühr abgegolten sei.

Danach ist wie folgt zu rechnen:

  1. 0,8-Verfahrensgebühr Nr. 3100, 3101 VV (Wert: 10.000,00 €)
  2. Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV

Zwischensumme

3. 19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

491,20 €

20,00 €

818,20 €

97,13 €

608,33 €

3. Ermäßigte Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache und volle Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert

Nach Auffassung des OLG Köln (JurBüro 1989, 491) und des OLG Düsseldorf (MDR 1983, 764 = JurBüro 1983, 1334 = AnwBl 1983, 520) ist dagegen zu differenzieren:

  • Hinsichtlich der Hauptsache soll es dabei bleiben, dass insoweit nur eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3101 VV anfalle, weil es an einem Sachantrag fehle.
  • Für den Kostenantrag soll dagegen von einer 1,3-Verfahrensgebühr auszugehen sein, da es sich hier um einen Sachantrag handele. Der Gegenstandswert der vollen Verfahrensgebühr richte sich dann aber nur nach dem Kosteninteresse (§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG i. V. m. § 43 Abs. 3 GKG).
  • Hiernach seien dann beide Gebühren gem. § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen auf eine Gebühr nach dem höchsten Gebührensatz aus dem Gesamtwert. Dies bedeutet, dass insgesamt maximal eine 1,3-Gebühr aus dem Wert der Hauptsache anfallen kann, da Hauptsache und Kosten gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. § 43 Abs. 1 GKG nicht zusammengerechnet werden dürfen.

Ausgehend hiervon müsste man also noch den Gegenstandswert der Kosten ermitteln und nach § 33 RVG festsetzen lassen. Dieser Gegenstandswert würde sich aus den bisherigen Kosten des Klägers (973,66 €) und des Beklagten (608,33 €) sowie einer 1,0-Gerichtsgebühr (266,00 €) berechnen und insgesamt 1.847,99 € betragen.

Danach wiederum ergäbe sich folgende Berechnung:

  1. 0,8-Verfahrensgebühr Nr. 3100, 3101 VV (Wert: 10.000,00 €)
  2. 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV (Wert: 1.847,99 €)
  3. Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV

Zwischensumme

4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

491,20 €

215,80 €

20,00 €

727,00 €

138,13 €

865,13 €

III. Stellungnahme

Die Begründung des AG Nürtingen ist insoweit zutreffend, als der Kostenantrag gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG mit zum Rechtsstreit zählt und durch die dortigen Gebühren abgegolten wird. Aus dieser Vorschrift folgt aber nur, welche Tätigkeiten mit zum Rechtszug gehören, welche Tätigkeiten also keine gesonderte Angelegenheit auslösen. Aus der Vorschrift folgt jedoch nicht, dass diese Tätigkeiten vergütungslos sind. Wird also in einer Annextätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 RVG ein Gebührentatbestand ausgelöst, der in der Hauptsache noch nicht entstanden ist, dann führt dies zur entsprechenden Vergütung des Anwalts.

Auch die Rechtsprechung LG Frankfurt/Main ist unzutreffend. Richtig ist zwar der Ausgangspunkt, dass der Kostenantrag die volle 1,3-Verfahrensgebühr auslöst, da es sich um einen Sachantrag handelt. Das LG Frankfurt/Main übersieht jedoch, dass sich der Kostenantrag nur nach dem Wert der Kosten richtet und gerade nicht nach dem Wert der Hauptsache, so dass er nicht die volle Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache begründen kann, sondern nur die volle Verfahrensgebühr aus dem Wert der Kosten.

Nach alledem ist die Rechtsprechung des OLG Köln und des OLG Düsseldorf zutreffend, wonach es hinsichtlich der Anzeige der Verteidigungsbereitschaft bei einer 0,8-Verfahrensgebühr verbleibt und lediglich aus dem Wert der Kosten die volle 1,3-Verfahrensgebühr anfällt (so auch Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 19 Rn. 99 und Anhang VI Rn. 331). Beide Gebühren sind nach § 15 Abs. 3 RVG auf eine 1,3-Gebühr aus dem Wert der Hauptsache zu begrenzen.

Da der reduzierte Wert der Kosten für die Gerichtsgebühr irrelevant ist, muss der Gegenstandswert für die volle Gebühr hinsichtlich des Kostenantrags gem. § 33 Abs. 1 RVG auf Antrag einer Partei oder eines Anwalts gesondert festgesetzt werden.

IV. Kostenantrag des Klägers

Nach § 269 Abs. 4, Abs. 3 S. 3 ZPO kann auch der Kläger einen Kostenantrag stellen. Geschieht dies und wehrt sich der Beklagte dagegen, entsteht ebenfalls die 0,8-Verfahrensgebühr aus der Hauptsache und eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Kosten. Zu beachten ist allerdings, dass in diesem Fall keine Ermäßigung der Gerichtsgebühr eintritt, sondern es bei der 3,0-Gebühr nach Nr. 1210 GKG-KV verbleibt. Damit ergibt sich ein höherer Gegenstandswert für den Kostenantrag, nämlich Kosten des Klägers (973,66 €) und des Beklagten (608,33 €) sowie eine 3,0-Gerichtsgebühr (798,00 €) berechnen und insgesamt 2.379,99 € betragen.

Dies ergibt dann sich folgende Berechnung:

  1. 0,8-Verfahrensgebühr Nr. 3100, 3101 VV (Wert: 10.000,00 €)
  2. 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV (Wert: 2.379,99 €)
    (die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3 aus 10.000,00 € = 798,20 € ist nicht überschritten)
  3. Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

491,20 €

288,60 €

20,00 €

799,80 €

151,96 €
951,76 €

Bild: Adobe Stock/©Gajus
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Rechtsanwalt Norbert Schneider ist einer der versiertesten Praktiker im Bereich des anwaltlichen Gebühren- und Kostenrechts und Autor zahlreicher Fachpublikationen und Seminare. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2024 zur Reisekostenabrechnung und Mitherausgeber der AGS – Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.