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verfahrenswert unterhalt

In der Rechtsprechung ist umstritten, wie der Verfahrenswert zu berechnen ist, wenn während eines laufenden Unterhaltsverfahrens der Antrag dahingehend erweitert wird, dass – auch rückwirkend – ein höherer Unterhalt gefordert wird als bei Antragseinreichung. Anlass für die Auseinandersetzung mit diesem Thema, gibt eine aktuelle, ausführlich und zutreffend begründete Entscheidung des OLG Nürnberg.

I. Die gesetzliche Regelung in Unterhaltssachen

1. Geldforderung

Unterhaltsansprüche sind in der Regel Geldforderungen (§ 1612 Abs. 1 BGB ), sodass zunächst § 35 FamGKG gilt. Maßgebend ist der Betrag des verlangten Unterhalts.

2. Künftiger Unterhalt

Wird (auch) zukünftiger Unterhalt verlangt, was in Unterhaltssachen die Regel ist, gilt ergänzend § 51 Abs. 1 S. 1 FamGKG. Entscheidend sind die Beträge der auf die Antragseinreichung folgenden zwölf Monate. Es gilt also nicht der Jahreswert oder das Zwölffache des geltend gemachten Betrages, sondern exakt der Betrag der nächsten zwölf Monate, mit allen Höhen und Tiefen.

Beispiel 1: Im Januar 2025 wird ein Antrag auf Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 403,50 Euro (erste Altersstufe, 110 Prozent), beginnend ab Februar 2025 gestellt.

Es gilt der Betrag der folgenden zwölf Monate (Februar 2025 bis Januar 2026), also

12 x 403,50 € =

4.842,00 €

Beispiel 2: Mit dem im Januar 2025 eingereichten Antrag wird ab Februar 2025 Kindesunterhalt in Höhe von 403,50 Euro und ab Juli 2025 in Höhe von 482,50 Euro geltend gemacht, da das Kind in diesem Monat sechs Jahre alt wird.

Es zählen jetzt wiederum die Monate Februar 2025 bis Januar 2026, also

5 x 403,50 € (Februar 2025 bis Juni 2025) =

7 x 482,50 € (Juli 2025 bis Januar 2026) =

Gesamt           

2.017,50 €

3.377,50 €

5.395,00 €

Anders verhält es sich lediglich dann, wenn dynamisierter Unterhalt geltend gemacht wird. In diesem Fall gilt der Jahresbetrag des bei Einreichung verlangten Betrages, und zwar unabhängig davon, ob das Kind innerhalb der nächsten zwölf Monate in eine andere Altersstufe fällt oder sich die Unterhaltsrichtlinien ändern (§ 51 Abs. 1 S. 2 FamGKG).

Beispiel 3: Im Januar 2025 wird beantragt, den Kindesvater zu verpflichten, für das fünfeinhalb Jahre alte Kind Unterhalt nach Einkommensgruppe 2 (105 Prozent) der jeweiligen Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen.

Es gilt der zwölffache Betrag, also

12 x 379,50 € =

4.554,00 €

und zwar unabhängig davon, ob in den nächsten zwölf Monaten eine Veränderung zur Höhe des Unterhalts eintritt.

3. Fällige Beträge

Die zum Zeitpunkt der Antragstellung fälligen Beträge sind nach § 51 Abs. 2 FamGKG hinzuzurechnen. Häufig wird hier von „Rückständen“ gesprochen. Rückstände gibt es seit dem 1.7.1994 nicht mehr. Nach der früheren Fassung des Gesetzes waren Rückstände hinzuzurechnen. Die Vorschrift des damaligen § 17 Abs. 4 GKG a. F. lautete:

„Rückstände aus der Zeit vor der Einreichung der Klage werden dem Streitwert hinzugerechnet.“

Dies führte zu der strittigen Frage, ob der Unterhalt für den laufenden Monat bereits ein rückständiger Unterhalt sei. Der Gesetzgeber hat diese Streitfrage durch das KostRÄndG 1994 (Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen [Kostenrechtsänderungsgesetz 1994] vom 24.6.1994, BGBl. 1994 Teil I Nr. 38, ausgegeben am 29.6.1994, S. 1325) geklärt und klargestellt, dass es nicht auf „Rückstände“ ankomme, sondern auf die bei Einreichung des Antrags fälligen Beträge.

Die Fälligkeit eines Unterhaltsanspruchs ergibt sich – soweit vertraglich nichts anderes vereinbart – aus § 1612 Abs. 3 S. 1 BGB: Danach ist Unterhalt am Ersten eines Monats im Voraus zu leisten, sodass der laufende Monat nach § 51 Abs. 2 FamGKG als fälliger Monat dem Verfahrenswert hinzuzurechnen ist (z. B. OLG Brandenburg NZFam 2022, 35 = FamRB 2022, 137 = AGS 2022, 40).

Beispiel 4: Im April 2025 wird ein Antrag auf Zahlung von Unterhalt in Höhe von 600 Euro ab Januar 2025 eingereicht.

Neben den zwölf Beträgen für den Zeitraum Mai 2025 bis April 2026 sind jetzt auch die vier fälligen Monate Januar 2025 bis April 2025 zu berücksichtigen. Der Verfahrenswert berechnet sich also wie folgt:

zukünftiger Unterhalt, 12 x 600,00 € (Mai 2025 bis April 2026) =

fällige Beträge, 4 x 600,00 € (Januar 2025 bis April 2025) =

Gesamt

7.200,00 €

2.400,00 €

9.600,00 €

II. Problem nachträgliche Antragserweiterung

Strittig ist in der Rechtsprechung, wie zu rechnen ist, wenn der Unterhaltsantrag im Laufe des Verfahrens betragsmäßig erhöht wird.

Beispiel 5: Im April 2025 wird ein Antrag auf Zahlung von Unterhalt in Höhe von 600 Euro ab Januar 2025 eingereicht. Im August 2025 stellt die antragsstellende Person fest, dass ihr sogar Unterhalt in Höhe von 80 Euro zusteht. Sie erweitert den Antrag dahingehend, dass der Antragsgegner/die Antraggegnerin verpflichtet wird, monatlich 800 Euro Unterhalt zu zahlen, beginnend mit Januar 2025.

Für den ursprünglichen Antrag ergibt sich folgender Verfahrenswert (s. o. Beispiel 4):

zukünftiger Unterhalt, 12 x 600,00 € (Mai 2025 bis April 2026) =

fällige Beträge, 4 x 600,00 € (Januar 2025 bis April 2025) =

Gesamt

7.200,00 €

2.400,00 €

9.600,00 €

Nach einer Auffassung soll sich durch die Erweiterung des Antrags die Anzahl der Monate für die Bewertung nicht ändern. Eine Antragserweiterung sollte für den Verfahrenswert nur insoweit berücksichtigt werden, als die auf die Antragstellung folgenden zwölf Monate und gegebenenfalls die zu diesem Zeitpunkt fälligen Monatsbeträge betroffen sind (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.9.2015 – 18 WF 234/12, NJW-RR 2016, 189 = NZFam 2016, 86). Antragserweiterungen nach Ablauf von zwölf Monaten seit Antragseinreichung sollen den Verfahrenswert dagegen nicht erhöhen (OLG Koblenz, Beschl. v. 31.1.2017 – 13 WF 34/17, juris). Danach wäre also jetzt wie folgt zu rechnen:

zukünftiger Unterhalt, 12 x 800,00 € (Mai 2025 bis April) 2026 =

fällige Beträge, 4 x 800,00 € (Januar 2025 bis April 2025) =

Gesamt

9.600,00 €

3.200,00 €

12.800,00 €

Diese Betrachtung ist jedoch unzutreffend.

Nach § 34 FamGKG ist jeder Antrag auf den Tag der Antragseinreichung zu bewerten. Werden Anträge erweitert, so ist deren Wert auf den Tag zu berechnen, zu dem die Antragserweiterung eingereicht wird. Faktisch sind Antrag und Antragserweiterung als eigenständige Anträge zu sehen und zu bewerten und anschließend zusammenzurechnen.

Dies führt dazu, dass die Antragserweiterung um 200, Euro gesondert zu bewerten ist. Dies ergibt sich zunächst einmal für den laufenden Unterhalt:

12 x (weitere) 200,00 € (September 2025 bis August 2026) =

2.400,00 €

Hinzu kommen die fälligen Beträge. Insoweit ist aber nicht auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Antragseinreichung (April 2025) abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Antragserweiterung, also auf den Monat August, sodass von dem Erweiterungsbetrag acht fällige Beträge zu berücksichtigen sind.

8 x (weitere) 200,00 € (Januar 2025 bis August 2025) =

1.600,00 €

Es ergibt sich damit ein Verfahrenswert in Höhe von

ursprünglicher Antrag

zukünftiger Unterhalt, 12 x 600,00 € =

fällige Beträge, 4 x 600,00 € =

Antragserweiterung

zukünftiger Unterhalt, 12 x (weitere) 200,00 € =

fällige Beträge, 8 x (weitere) 200,00 € =

Gesamt

7.200,00 €

2.400,00 €

2.400,00 €

1.600,00 €

13.600,00 €

Das OLG Köln hat dies in einer älteren Entscheidung vor Inkrafttreten des FG-Reformgesetzes in einem Leitsatz sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht:

Wird bei einer Unterhaltsklage nach Klageeinreichung die Klage erhöht, so sind die Beträge, die auf die Zeit zwischen Klageeinreichung und Klageerweiterung fallen, streitwerterhöhende Rückstände.

OLG Köln, Beschl. v. 22.7.2003 – 4 WF 59/03

AGS 2004, 32 m. Anm. N. Schneider = FamRB 2004, 45 m. Anm. N. Schneider = AGS 2004, 32 = OLGR 2003, 301 = FamRZ 2004, 1226 = FuR 2004, 380

Ebenso OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.7.2014 – 9 WF 142/14, FamRZ 2015, 431 = AGS 2015, 432.

Dieser Auffassung ist nunmehr auch das OLG Nürnberg gefolgt:

Eine Antragserweiterung stellt in Unterhaltssachen einen eigenständig nach § 51 FamGKG zu bewertenden Antrag dar. Der Verfahrenswert für diesen Antrag ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Identität sowohl hinsichtlich des rückständigen Unterhalts als auch des für die ersten zwölf Monate nach dessen Einreichung geforderten Unterhalts aus der Differenz zwischen neu gefordertem Unterhalt und ursprünglich geltend gemachtem Unterhalt zu berechnen. Die Verfahrenswerte für beide Anträge sind zu addieren.

OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.2.2025 – 11 WF 1133/24, juris

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Bild: Adobe Stock/© Stockfotos-MG
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Der Gebührenexperte und Rechtsanwalt Norbert Schneider hat bereits zahlreiche Werke zum RVG veröffentlicht, darunter Fälle und Lösungen zum RVG, AnwaltKommentar RVG, Streitwertkommentar und RVG Praxiswissen. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2025 zur Reisekostenabrechnung auswärtiger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Mitherausgeber der AGS-Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.

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