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anrechnung mehrerer Gebühren

In vielen Fällen sieht das RVG vor, dass die Betriebsgebühr einer Angelegenheit auf die Betriebsgebühr einer nachfolgenden Angelegenheit angerechnet wird. Dabei kann diese Anrechnung mehrerer Gebühren sowohl vollständig als auch teilweise erfolgen. 

I. Anrechnung der Geschäftsgebühr

a) Abrechnung nach Wertgebühren

Ein Hauptanwendungsfall ist die Anrechnungsbestimmung der Vorbem. 3 Abs. 4 VV, wonach eine Geschäftsgebühr zur Hälfte, höchstens zu 0,75 auf eine nachfolgende Verfahrensgebühr nach Teil 3 VV anzurechnen ist.

Hier hatte sich die Rechtsprechung mit dem Problem zu befassen, wie anzurechnen ist, wenn außergerichtlich mehrere Geschäftsgebühren aus Teilwerten entstanden sind, im gerichtlichen Verfahren aber nur eine Verfahrensgebühr aus dem Gesamtwert anfällt.

Der BGH (AGS 2017, 170 = AnwBl 2017, 558) war der Auffassung, dass dann beide Gebühren in vollem Umfang anzurechnen seien, allerdings mit der Einschränkung, dass kein höherer Betrag als die volle Verfahrensgebühr anzurechnen sei.

Beispiel 1:

Der Anwalt hatte außergerichtlich für den Auftraggeber gegen B eine Forderung i.H.v. 8.000 € geltend gemacht. Die Sache war umfangreich, aber durchschnittlich, sodass von der Mittelgebühr auszugehen war. Gleichzeitig hatte der Anwalt in einer anderen Angelegenheit für seinen Auftraggeber eine Forderung des B in Höhe von 6.000 € abgewehrt. Diese Sache war durchschnittlich, sodass von der Schwellengebühr auszugehen war. Anschließend erhob der Anwalt für seinen Mandanten Klage auf Zahlung der 8.000 €. Der Beklagte B erhob Widerklage wegen seiner 6.000 €. Es wurde mündlich über Klage und Widerklage verhandelt. Der Streitwert wurde auf 14.000 € festgesetzt (§ 45 Abs. 1 S. 1 GKG).

Außergerichtlich waren zwei verschiedene Angelegenheiten gegeben und damit zwei Geschäftsgebühren entstanden. Abzurechnen war insoweit wie folgt:

I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 €)

  1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV              Zwischensumme
  3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                                    Gesamt

II. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 6.000 €) 

  1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV        Zwischensumme
  3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
    Gesamt          

  753,00 €

20,00 €

770,00 €

 146,87 €

919,87 €

507,00 €

20,00 €

527,00 €

 100,13 €

627,13 €

Im gerichtlichen Verfahren ist sodann eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 14.000 € entstanden. Darauf waren 0,75 aus 8.000 € und 0,65 aus 6.000 € anzurechnen. Nach der Rechtsprechung des BGH (s. o.) sind beide Geschäftsgebühren in voller Höhe anzurechnen. Eine Anrechnungssperre sollte erst eintreten, wenn ein höherer Betrag als die Verfahrensgebühr anzurechnen wäre. Die Anrechnung sollte also nicht zu einem negativen Betrag führen. Es sollte allerdings möglich sein, dass die Anrechnung die Verfahrensgebühr vollständig aufzehrt.

Nach anderer Auffassung, insbesondere des OLG Koblenz (AGS 2009, 167 = NJW-Spezial 2009, 252) und des OVG Nordrhein-Westfalen (AGS 2017, 497 = NJW-Spezial 2017, 540), soll dagegen nicht mehr anzurechnen sein als eine Gebühr nach dem höchsten Anrechnungssatz aus dem Gesamtwert.

Mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 hat der Gesetzgeber diese Frage für die Geschäftsgebühr geregelt. Dabei hat er der Rechtsprechung des BGH eine Absage erteilt. Er folgt der Rechtsprechung des OLG Koblenz und des OVG Nordrhein-Westfalen. Es heißt jetzt in § 15a Abs. 2 RVG:

(2) Sind mehrere Gebühren teilweise auf dieselbe Gebühr anzurechnen, so ist der anzurechnende Betrag für jede anzurechnende Gebühr gesondert zu ermitteln.
Bei Wertgebühren darf der Gesamtbetrag der Anrechnung jedoch denjenigen Anrechnungsbetrag nicht übersteigen, der sich ergeben würde, wenn eine Gebühr anzurechnen wäre, die sich aus dem Gesamtbetrag der betroffenen Wertteile nach dem höchsten für die Anrechnungen einschlägigen Gebührensatz berechnet.
Bei Betragsrahmengebühren darf der Gesamtbetrag der Anrechnung den für die Anrechnung bestimmten Höchstbetrag nicht übersteigen.

Dies ergibt damit folgende Berechnung:

III. Gerichtliches Verfahren (Wert: 14.000 €)

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
  2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen,                        0,75 aus 8.000 €
  3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen,                        0,65 aus 6.000 €                                                          gem. § 15a Abs. 2 RVG nicht mehr als                            0,75 aus 14.000 €
  4. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
  5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV                    Zwischensumme
  6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                                        Gesamt

933,40 €

                                            -376,50 €

-235,50 €

-538,50 €

861,600 €

20,00 €

1.276,50 €

242,54 €

1.519,04 €

b) Abrechnung nach Betragsgebühren

Die Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG gilt aber nicht nur für die Anrechnung von Wertgebühren, sondern gilt auch für die Anrechnung von Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 RVG), nämlich dann, wenn im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren mehrere Geschäftsgebühren angefallen sind und es anschließend zu einem einheitlichen Widerspruchsverfahren kommt oder wenn mehrere Widerspruchsverfahren in ein einziges Klageverfahren münden.

Auch hier sind zunächst einmal die anzurechnenden Beträge zu ermitteln und dann nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV hälftig anzurechnen. Insgesamt darf dann aber nicht mehr angerechnet werden als der für die Anrechnung vorgesehene Höchstbetrag von 207,00 Euro.

Beispiel 2:

Der Anwalt wird in einer sozialrechtlichen Angelegenheit beauftragt, gegen den Bescheid der Sozialbehörde Widerspruch einzulegen. Später wird er beauftragt, gegen einen weiteren Bescheid Widerspruch einzulegen. In beiden Fällen ist von der Schwellengebühr (Anm. zu Nr. 2302 VV) auszugehen. Die Widerspruchsbehörde bescheidet beide Widersprüche zeitgleich. Daraufhin wird wegen beider Bescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide eine gemeinsame Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht erhoben.

 Die beiden Widerspruchsverfahren sind zunächst getrennt abzurechnen:

 I. Erstes Widerspruchverfahrens

  1. Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV                    Zwischensumme
  3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                                     Gesamt                                                                                                                                                                             

II. Zweites Widerspruchsverfahren              

  1. Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV        Zwischensumme
  3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                         Gesamt    

 

359,00 €

20,00 €

379,00 €

72,01 €

451,01 €

 

          359,00 €

20,00 €

379,00 €

72,01 €

451,01 €

Im gerichtlichen Verfahren sind jetzt beide Gebühren anzurechnen. Allerdings darf nicht mehr angerechnet werden als der Höchstbetrag von 207,00 €. Dies ergibt dann folgende Berechnung:

III. Verfahren vor dem Sozialgericht

  1. Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV
  2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen
  3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen                    gem. § 15a Abs. 2 S. 3 RVG nicht mehr als
  4. Terminsgebühr, Nr. 3106 VV
  5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV            Zwischensumme
  6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                                Gesamt          

 359,00 €

-179,50 €

-179,50 €

-207,00 €

335,00 €

20,00 €

508,00 €

96,52 €

604,52 €

II. Geplante Erweiterung

Bei der seinerzeitigen Gesetzesnovelle ist übersehen worden, dass sich die Frage nicht nur dann stellt, wenn mehrere Gebühren teilweise angerechnet werden, wie dies bei der Geschäftsgebühr der Fall ist, sondern auch dann, wenn mehrere Gebühren vollständig angerechnet werden. Der Gesetzgeber hat diese Lücke zwischenzeitlich erkannt und beabsichtigt, diese mit dem KostBRÄG 2025 zu schließen. Der Wortlaut des § 15 Abs. 2 RVG soll dann dahingehend erweitert werden, dass jetzt nicht mehr davon die Rede ist, dass „teilweise“ anzurechnen sein, sondern „ganz oder teilweise“. Damit ist dann auch in den Fällen Klarheit geschaffen, in denen eine volle Anrechnung stattfindet.

Ein solcher Fall kann sich z. B. bei mehreren Beweisverfahren ergeben.

Beispiel 3:

Der Anwalt wird für den Kläger zunächst in dem selbstständigen Beweisverfahren 1/24 über Gewerke im Wert von 10.000 € tatig. Später kommt es zu einem weiteren Beweisverfahren 2/24 über Gewerke im Wert von 15.000 €. Hiernach kommt es zum Hauptsacheverfahren über die gesamten Mängel des Objekts in Höhe von 65.000 €.

In den beiden Beweisverfahren ist jeweils eine 1,3-Verfahrensgebühr angefallen.

I. Selbstständiges Beweisverfahren 1/24

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 10.000 €)
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV             Zwischensumme
  3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                          Gesamt                                                                         

II. Selbstständiges Beweisverfahren 2/24              

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 15.000€)
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV            Zwischensumme
  3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                                Gesamt

789,20 €

20,00 €

818,20 €

155,46 €

973,66

 

933,40 €

     20,00 €

953,40 €

181,15 €

1.134,55 €

Beide Gebühren sind nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen, nach § 15a Abs. 2 S. 1 RVG jedoch insgesamt nicht mehr als 1,3 aus dem Gesamtwert.

III. Hauptsacheverfahren

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 65.000 €)
  2. gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV anzurechnen,                        1,3 aus 10.000 €
  3. gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV anzurechnen,                     1,3 aus 15.000 €                                                             gem. § 15a Abs. 2 S. 1 RVG nicht mehr als 1,3 aus 25.000 €
  4. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 65.000 €)
  5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV          Zwischensumme
  6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV                          Gesamt

1784,90 €

                                            -798,20 €

                                  -933,40 €

-1.136,20 €

1.647,60 €

20,00 €

2.316,30 €

440,09 €

2.756,39 €

Bis zum Inkrafttreten der Neufassung dürfte de lege ferenda die jetzige Fassung des § 15a Abs. 2 RVG analog anzuwenden sein.

Bild: Adobe Stock/©Pcess609
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Der Gebührenexperte und Rechtsanwalt Norbert Schneider hat bereits zahlreiche Werke zum RVG veröffentlicht, darunter Fälle und Lösungen zum RVG, AnwaltKommentar RVG, Streitwertkommentar und RVG Praxiswissen. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2025 zur Reisekostenabrechnung auswärtiger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Mitherausgeber der AGS-Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.

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