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In Verkehrsunfallsachen kommt es häufig vor, dass der Versicherer außergerichtlich lediglich einen Teil der geltend gemachten Schadenspositionen reguliert, sei es, weil er ein Mitverschulden einwendet oder weil er die Höhe der Schadenspositionen bestreitet.

In solchen Fällen erstattet der gegnerische Versicherer die dem Geschädigten entstehenden Anwaltskosten dann auch nur in Höhe einer Geschäftsgebühr aus dem Erledigungswert, also aus dem Betrag, den er gezahlt hat.

Für den Anwalt oder die Anwältin stellt sich dann die Frage, in welcher Höhe er bzw. sie die Geschäftsgebühr im nachfolgenden Rechtsstreit auf Zahlung des Restschadens geltend macht.

Weitere Probleme ergeben sich im Anschluss bei der Kostenfestsetzung.

Die Probleme und ihre Lösungen lassen sich am besten anhand eines Beispiels aufzeigen:

Beispiel:

Durch einen Verkehrsunfall ist dem Geschädigten an seinem Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von insgesamt 10.000 € entstanden. Er beauftragt eine Anwältin, die die 10.000 € beim gegnerischen Haftpflichtversicherer anmeldet sowie die daraus anfallenden Rechtsverfolgungskosten in Höhe von

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 2300 VV
    (Wert: 10.000,00 €)
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

798,20 €

20,00 €

818,20 €

155,46 €

973,66 €

Der Haftpflichtversicherer ist der Auffassung, dass sich der Geschädigte ein Mitverschulden in Höhe von 40 % anrechnen lassen müsse und reguliert auf der Basis einer 60 % Haftung. Er zahlt also 6.000 € sowie:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 2300 VV (Wert: 6.000,00 €)
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

507,00 €

20,00 €

527,00 €

100,13 €

627,13 €

Nunmehr erteilt der Geschädigte seiner Anwältin den Auftrag, den Restschaden einzuklagen und zwar zuzüglich der vorgerichtlichen Kosten.

I. Der Ersatzanspruch

Mitunter gehen Anwälte immer noch hin und klagen eine Geschäftsgebühr aus 4.000 € ein.

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 2300 VV (Wert: 4.000,00 €)
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

361,40 €

20,00 €

381,40 €

72,47 €

453,87 €

Diese Berechnung ist jedoch unzutreffend. Dem Geschädigten steht nur ein einheitlicher Schadensersatzanspruch zu. Er kann die ihm durch die Regulierung seines Schadens entstandenen Anwaltskosten nur einmal verlangen. Zu diesen Anwaltskosten zählt aber nur eine Gebühr aus dem Gesamtwert. Der Anwalt kann dem Geschädigten nicht zwei Einzelgebühren aus den erledigten Teilwerten in Rechnung stellen. Dies würde gegen § 15 Abs. 2 RVG verstoßen. Abgerechnet werden kann insgesamt nur einmal, und zwar aus dem Gesamtwert.

Anderenfalls würde sich ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe von insgesamt

Kosten aus 6.000,00 €

+ Kosten aus 4.000,00 €

Gesamt

627,13 €

453,87 €

1.081,00 €

ergeben, also mehr als der Mandant mit 973,66 € seinem Anwalt überhaupt schuldet.

Kurioserweise ist bis 2014 in der Praxis so verfahren worden, ohne dass dies aufgefallen ist. Der BGH hat schließlich klargestellt, dass diese Art der Abrechnung unzutreffend ist und nur noch der Differenzbetrag eingeklagt werden kann.

Die Entscheidung des BGH hierzu lautet:

Ein Rechtsanwalt kann die Gebühr gem. Nr. 2300 VV auch dann nur einmal aus dem Gesamtgegenstandswert und nicht zweimal aus (dann niedrigeren) Teilgegenstandswerten verlangen, wenn die von ihm für seinen Mandanten geltend gemachte Forderung außergerichtlich nur teilweise erfüllt wird und ihm deshalb für den noch offenen Teil der Forderung Klageauftrag erteilt wird.

BGH, Urt. v. 20. 5. 2014 – VI ZR 396/13

AGS 2014, 325 = MDR 2014, 864 = Schaden-Praxis 2014, 279 = Rpfleger 2014, 557 = VersR 2014, 1100 = JurBüro 2014, 475 = ZfSch 2014, 585 = NJW-RR 2014, 1341 = NZV 2014, 567 = NJW-Spezial 2014, 476 = RVGreport 2014, 391 = DAR 2014, 615 = BRAK-Mitt 2014, 265= RVGprof. 2015, 3

Ebenso wie in der Hauptsache nur die Differenz eingeklagt wird,

Gesamtschaden
abzüglich Teilzahlung
Rest

10.000,00 €
- 6.000,00 €
4.000,00 €,

ist auch bei den Anwaltsgebühren vorzugehen. Es ist wie folgt zu rechnen:

Gesamtkostenschaden
abzüglich Teilregulierung
Restbetrag

973,66 €
- 627,13 €
   346,53 €,

Nur dieser Restbetrag kann noch eingeklagt werden.

Auf diese Art und Weise wird gewährleistet, dass einerseits der Geschädigte seine Kosten in voller Höhe erstattet erhält, andererseits der Schädiger aber nicht mehr zahlen muss, als die Gesamtvergütung, die der Geschädigte seinem Anwalt schuldet.

II. Kostenfestsetzung

In der nachfolgenden Kostenfestsetzung stellt sich jetzt das Problem des § 15a Abs. 3 RVG, nämlich die Frage, inwieweit die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen der Kostenerstattung anzurechnen ist. Drei Konstellationen sind dabei denkbar.

1. Die weitergehende Klage wird abgewiesen

Fortsetzung des Beispiels (1):

Die Klage wird abgewiesen.

Wird die Klage abgewiesen, dann gibt es schon gar keine Kostenerstattung für den Kläger und es muss auch nichts angerechnet werden.

2. Der Klage wird in vollem Umfang stattgegeben

Fortsetzung des Beispiels (2):

Das Gericht gibt der Klage über die restlichen 4.000 € sowie der restlichen Geschäftsgebühr in voller Höhe statt.

Wird der Klage in vollem Umfang stattgegeben, dann ist zu berücksichtigen, dass der Mandant jetzt die Geschäftsgebühr aus dem vollen Wert von 10.000 € erhalten hat bzw. aus dem Wert von 6.000 € erstattet erhalten hat und aus dem Wert von 4.000 € zu seinen Gunsten tituliert worden ist. Es ist also jetzt nach § 15a Abs. 3 1. und 2. Alt RVG in vollem Umfang anzurechnen.

Dabei ist allerdings wiederum zu berücksichtigen, dass von den 10.000 €, die außergerichtlich geltend gemacht worden sind, lediglich 4.000 € in den Rechtsstreit übergegangen sind. Folglich wird auch nur in Höhe von 4.000 € angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 VV).

Der zutreffende Kostenfestsetzungsantrag muss also wie folgt lauten:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 4.000,00 €)
  2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,65 aus 4.000,00 €
  3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 4.000,00 €)
  4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

361,40 €

-180,70 €

333,60 €

20,00 €

534,30 €

101,52 €

453,87 €

3. Der Klage wird teilweise stattgegeben

Wird der Klage einschließlich der Kosten nur teilweise stattgegeben, ist die Abrechnung etwas komplizierter.

Fortsetzung des Beispiels (3):

Das Gericht gibt der Klage über die restlichen 4.000 € in Höhe von 2.000 € statt.

Jetzt ergibt sich die gleiche Ausgangslage wie zuvor. Allerdings hat der Mandant jetzt lediglich 8.000 € vom gegnerischen Versicherer erhalten bzw. 6.000 € erhalten und 2.000 € sind tituliert.

Von diesen dem Grunde nach anzurechnenden 8.000 € ist aber wiederum nur der Betrag anzurechnen, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 VV). Von den 8.000 € sind insoweit nur 2.000 € übergegangen. Die 6.000 € waren einschließlich der darauf entfallenden Kosten bereits vorgerichtlich gezahlt worden und damit nicht mehr Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens.

Der zutreffende Kostenfestsetzungsantrag muss also wie folgt aussehen:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 4.000,00 €)
  2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,65 aus 2.000,00 €
  3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 4.000,00 €)
  4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

361,40 €

- 7,50€

333,60 €

20,00 €

617,50 €

117,33 €

734,83 €

4. Sonderproblem

Ein besonderes Problem ergibt sich, wenn sich kein Gebührensprung ergibt.

Abwandlung:

Der gegnerische Versicherer zahlt 9.500,00 € und daraus eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von

  1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV (Wert: 9.500,00 €)
  2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

798,20 €

20,00 €

818,20 €

155,46 €

973,66 €

Die restlichen 500,00 € werden nunmehr eingeklagt.

Da kein Gebührensprung vorliegt, werden auch keine zusätzlichen Anwaltsgebühren mehr eingeklagt. Der Differenzbetrag würde sich auf 0,00 € belaufen:

1,3-Gebühr aus 10.000,00 €
abzüglich 1,3-Gebühr aus 9.500,00 €
Gesamt

973,66 €
- 973,66 €
0,00 €

Die Frage ist allerdings jetzt, ob aus den 500 € die Geschäftsgebühr angerechnet werden muss. Dies dürfte wohl zu bejahen sein, insbesondere nach der Entscheidung des BGH vom 24. 10. 2023 (AGS 2024, 22 = DAR 2024, 115 = JurBüro 2024, 73 = NJW-RR 2024, 482 = ZfSch 2024, 223 = NJW-Spezial 2024, 91).

Soweit der Klage ganz oder teilweise stattgegeben wird, müsste also der Kostenfestsetzungsantrag jetzt wie folgt lauten:

  1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 500,00 €)
  2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,65 aus 500,00 €
  3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 500,00 €)
  4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

Zwischensumme

  1. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

Gesamt

63,70 €

- 22,50 €

58,80 €

20,00 €

120,00 €

22,80 €

142,80 €

RVG kompakt: Die richtige Anrechnung der Geschäftsgebühr

Gebührenexperte Norbert Schneider stellt 27 Abrechnungsbeispiele für die Praxis vor

Bild: Adobe Stock/©snowing12
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Der Gebührenexperte und Rechtsanwalt Norbert Schneider hat bereits zahlreiche Werke zum RVG veröffentlicht, darunter Fälle und Lösungen zum RVG, AnwaltKommentar RVG, Streitwertkommentar und RVG Praxiswissen. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2025zur Reisekostenabrechnung auswärtiger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und Mitherausgeber der AGS-Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.

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