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Von Norbert Schneider

In der Praxis stößt man regelmäßig auf zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzungen der Gerichte. Solche Wertfestsetzungen sind unsinnig. Gleichwohl lässt sich die Praxis davon nicht abbringen.

Beispiel:

Das Gericht setzt in einem Rechtsstreit, in dem es um monatliche Mieten von
1.000 € geht, den Streitwert wie folgt fest: „Bis zum 10.10.2022: 10.000 €; danach: 8.000 €“

Solche oder vergleichbare Streitwertfestsetzungen finden sich in der Praxis regelmäßig. Der Urkundsbeamte fragt sich dann, nach welchem Wert er jetzt die Gerichtsgebühr für das Verfahren im Allgemeinen (Nr. 1210 GKG-KV) abrechnen soll. Der Anwalt wiederum fragt sich, welcher Wert für seine Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) gilt. Der erste Gedanke ist, von dem höheren Wert, also von 10.000 €, auszugehen. Das ist aber ein Trugschluss. Aus der gestaffelten Wertfestsetzung ergibt sich nämlich nicht der Gesamtwert, also inwieweit die 8.000 € in den 10.000 € enthalten sind.

Warum setzt ein Gericht einen Streitwert fest?

Gerichte haben Streitwerte festzusetzen, wenn Gerichtsgebühren erhoben werden, die sich nach dem Wert richten (siehe § 63 GKG).

Im Beispielsfall wird eine einzige Gerichtsgebühr nach Nr. 1210 GKG-KV erhoben. Die Gebühr hat einen Gebührensatz von 3,0, der sich gegebenenfalls nach Nr. 1211 GKG-KV auf einen Gebührensatz von 1,0 reduzieren kann. Es bleibt aber in jedem Fall bei einer einzigen Gebühr. Nur sagt einem aber schon der gesunde Menschenverstand, dass es für eine einzige Gebühr auch nur einen einzigen Wert geben kann. Man kann nicht eine Gebühr nach zwei verschiedenen Werten berechnen. Wie soll dies gehen? Soll etwa die Hälfte der Gebühr nach dem einen Wert und die andere Hälfte nach dem anderen Wert berechnet werden?

Nach ganz einhelliger Rechtsprechung sind daher solche gestaffelten Wertfestsetzungen unzulässig.

Unzulässigkeit einer gestaffelten Wertfestsetzung

Eine zeitlich gestaffelte Wertfestsetzung ist unzulässig.

OLG Bremen, Beschl. 05.01.2022 – 2 W 56/21

Für eine gestaffelte Streitwertfestsetzung gemäß § 63 GKG nach Verfahrensabschnitten oder Zeiträumen besteht kein Raum.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.01.2022 – 2 W 4619/21

Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung hat für die Gerichtsgebühren nicht zu erfolgen, da die Streitwertfestsetzung gem. § 63 Abs. 2 S. 1 GKG lediglich der Bemessung der Gerichtsgebühren dient. Die Terminsgebühr des Rechtsanwalts kann sich zwar nach einem niedrigeren Wert zum Zeitpunkt des Termins richten; dann liegt jedoch ein Fall des § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG vor.

OLG München, Beschl. v. 13.12.2016 – 15 U 2407/16

Nach zutreffender Auffassung entfalten solche Wertfestsetzungen auch keine Bindungswirkung und sind bedeutungslos.

Aus einer solchen Wertfestsetzung lässt sich nämlich nicht entnehmen, inwieweit sich die festgesetzten Teilwerte decken, also inwieweit sie zu addieren sind und inwieweit nicht. Das Gericht hat vielmehr nur einen einzigen Wert festzusetzen, und zwar nach dem Gesamtwert aller Gegenstände, die im Verlaufe des Verfahrens anhängig gemacht worden sind.

Der Gebührenstreitwert richtet sich nach der Summe aller Forderungen, die innerhalb eines Prozesses erhoben werden.

OLG Koblenz, Beschl. v. 28.12.2005 – 5 W 829/05

Eine Streitwertaddition ist auch dann vorzunehmen, wenn im Laufe des Verfahrens mehrere Gegenstände nacheinander geltend gemacht werden. Es ist nicht erforderlich, dass mehrere Gegenstände zeitgleich geltend gemacht werden.

OLG Celle, Beschl. v. 09.06.2015 - 2 W 132/15

Die Gesamtsumme ist aber aus einer gestaffelten Wertfestsetzung nicht zu entnehmen.

So ist im Beispiel denkbar, dass die 8.000 € in den 10.000 € vollständig enthalten sind.

Variante 1:

Eingeklagt waren zunächst die Mieten Januar bis Oktober 2022, also 10.000 €. Danach ist die Klage um 2.000 € zurückgenommen worden, nämlich hinsichtlich der Mieten Januar und Februar 2022, so dass nur noch 8.000 € beantragt wurden.

Festzusetzen wäre danach ein Streitwert in Höhe von 10.000 €, da die Rücknahme auf die einmal entstandene Gerichtsgebühr keinen Einfluss hat (§ 40 GKG).

Die 8.000 € können aber auch nur teilweise in den 10.000 € enthalten sein.

Variante 2:

Eingeklagt waren zunächst die Mieten Januar bis Oktober 2022, also 10.000 €. Danach ist die Klage um 4.000 € zurückgenommen worden, nämlich hinsichtlich der Mieten Januar bis April 2022, aber gleichzeitig um 2.000 € für die Mieten November und Dezember 2022 erweitert worden, so dass auch jetzt nur noch 8.000 € beantragt wurden.

Festzusetzen wäre danach ein Streitwert in Höhe von 12.000 €, da die Rücknahme auf die einmal entstandene Gerichtsgebühr keinen Einfluss hat, die spätere Klageerweiterung dagegen zu berücksichtigen ist.

Bei den 8.000 € kann es sich aber auch um völlig andere Gegenstände handeln als in den 10.000 € enthalten sind.

Variante 3:

Eingeklagt waren zunächst die Mieten Januar bis Oktober 2022, also 10.000 €. Danach ist die Klage wegen der Mieten Januar bis Oktober 2022 vollständig zurückgenommen worden, aber gleichzeitig um 8.000 € hinsichtlich der Mieten November 2022 – Juni 2023 erweitert worden, so dass auch jetzt nur noch 8.000 € beantragt wurden.

Festzusetzen wäre danach ein Streitwert in Höhe von 18.000 €, da im Verlaufe des Verfahrens insgesamt 18 Mieten anhängig waren. Die Rücknahme hat auf die einmal entstandene Gerichtsgebühr wiederum keinen Einfluss. Die spätere Klageerweiterung ist dagegen wiederum zu berücksichtigen.

Die im Beispiel ausgesprochene Streitwertfestsetzung ist daher letztlich nichtssagend.

Soweit häufig als Begründung für eine solche gestaffelte Wertfestsetzung angeführt wird, dies sei für die Anwaltsgebühren erforderlich, ist auch dies unzutreffend.

Auch die anwaltlichen Gebühren berechnen sich nicht nach Zeitabschnitten, sondern nach Werten. Zwar können beim Anwalt mehrere Gebühren anfallen (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr und Einigungsgebühr) und es kann hier durchaus vorkommen, dass für verschiedene Gebühren verschiedene Werte gelten. Eine solche abweichende Wertfestsetzung hat aber nicht im Verfahren nach dem GKG zu erfolgen, und schon gar nicht von Amts wegen.

Macht eine Partei, ein Beteiligter oder ein Anwalt geltend, dass sich die Terminsgebühr nach einem abweichenden Wert richtet, dann ist dieser Wert auf Antrag – aber auch nur auf Antrag – gesondert im Verfahren nach § 33 RVG festzusetzen.

Soweit sich Anwaltsgebühren nach abweichenden Werten berechnen, ist insoweit eine Festsetzung von Amts wegen nicht zulässig. Eine solche Festsetzung ist dem gesonderten Verfahren nach § 33 RVG vorbehalten.

LG Mainz, Beschl. v. 04.10.2018 – 1 O 264/16

Soweit sich die Anwaltsgebühren nach unterschiedlichen Werten richten, ist diese Wertfestsetzung dem Verfahren nach § 33 RVG vorbehalten.

OLG Bremen, Beschl. 05.01.2022 – 2 W 56/21

Fazit

Erhält der Anwalt eine gestaffelte Streitwertfestsetzung, so sollte hiergegen stets Beschwerde (§ 68 GKG) erhoben und darauf hingewiesen werden, dass das Gericht nur einen einzigen (Gesamt-)Streitwert festzusetzen habe. Mitunter kann es insoweit zwar an der erforderlichen Beschwer fehlen. Dies ist aber irrelevant, weil das Ausgangsgericht (§ 63 Abs. 3 Nr. 1 GKG) und auch das Beschwerdegericht (§ 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG) von Amts wegen den Wert korrigieren kann und muss (siehe OLG Brandenburg, Beschl. v. 2.1.2023 – 6 W 73/22).

Ist dann eine einheitliche Streitwertfestsetzung erreicht und soll geltend gemacht werden, dass für bestimmte anwaltliche Gebühren ein vom Gerichtstreitwert abweichender Wert gelte, dann ist hiernach ein gesonderter Antrag nach § 33 RVG zu stellen, diesen abweichenden Wert durch Beschluss gesondert festzusetzen.

Bild: Adobe Stock/©Farkot Architect
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Rechtsanwalt Norbert Schneider ist einer der versiertesten Praktiker im Bereich des anwaltlichen Gebühren- und Kostenrechts und Autor zahlreicher Fachpublikationen und Seminare. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2024 zur Reisekostenabrechnung und Mitherausgeber der AGS – Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.